K. Wyborny

7 TAGE EIFERSUCHT

VORWORT DES HERAUSGEBERKOLLEKTIVS
(anläßlich der hiermit begonnenen Erstausgabe der Comédie Artistique)


Nun also ist es getan. Aufgepaßt folglich, meine weisen, verehrungswürdigen Damen und Herren, rührt die Gehirne! Die Herausgabe einer der erstaunlicheren Anstrengungen der neueren deutschen Literatur hat begonnen. Den Auftakt bildet dieser schlichte Roman mit dem Titel "Sieben Tage Eifersucht".


Unter den in dieser Comédie versammelten Arbeiten ist es die einfachste, sie bewegt sich noch am ehesten im Bereich des Gewöhnlichen und ihre Protagonisten werden vom üblichen Ehrgeiz, ob dieser nun erfüllt wird oder nicht, zu ihrem Tun getrieben - insofern klingt das meiste vertraut, was in anderen Teilen der Comédie, manche sagen leider, manche Gottseidank, über weite Spannen nicht mehr der Fall ist. Denn deren Helden halten sich oft in Randsegmenten des landläufig "menschlich" Genannten auf, wo die Leidenschaften nicht selten etwas Verzerrtes annehmen, wozu immer erst einiges zu sagen ist, bevor es einer Leserschaft zumutbar wird. Da Eifersucht hingegen zu den geteilten menschlichen Leidenschaften zählt und jeder das bereitwillig zugibt - bei einer nur sieben Tage währenden allemal - erübrigt sich im vorliegenden Fall eigentlich ein Vorwort.


Wenn der Autor nicht die fatale Neigung hätte, uns unbedingt gewisse Zusammenhänge zu vermitteln, die zunächst einmal gar nicht interessieren. Zumeist berühren sie das Reich der Bilder, sowohl der stehenden als der laufenden, sowohl der gemalten als auch der einfach nur dokumentierenden, sowohl der wahrgenommenen als auch der inszenierten, in dem sich die meisten seiner Protagonisten aufhalten und in dem er sich Kenntnisse erworben hat, die jene der meisten Laien, die solchen Bildern zwar in zunehmendem Maße ebenso ausgesetzt sind, weit überschreiten. Einerseits trifft der Autor damit fraglos den Nerv unserer Zeit, und insofern wäre es zu begrüßen. Andererseits ist ihm eine gewissermaßen überprofessorale Ader zu eigen, die nicht zuletzt davon rührt, daß er, wie er an einer Stelle freimütig zugibt, nicht Professor geworden ist. Da seine Erkenntnisse daher nicht, wie üblich in so einer Professorenschaft, in der täglichen Routine des Unterrichtens (oder im Disput mit alles genauer wissenden Kollegen) ihren Glanz haben verlieren können, stehen sie ihm noch in so unerschrockener Frische vor Augen, daß er sie unbedingt mit uns teilen möchte. Diesen krankhaften Mangel an professioneller Müdigkeit mag man ihm vorwerfen, aber vor allem sieht man daran mal wieder, was dabei herauskommt, wenn man so einem seine Professorenschaft nicht rechtzeitig genug zwischen die Beine wirft, damit er sich den Kopf nicht mehr an seinem niederschmetterndem Hiersein zergrübeln muß, sondern im allerorts akzeptierten Glanz seines Berufs nur noch die nähere Zukunft seiner Studenten, die finanzielle Ausstattung seines Instituts und den Bau seines Eigenheims vor Augen hat: nichts Gutes!


Wohl ließe sich das mit einiger Schlauheit und einer noch größeren Portion Unverschämtheit einfach herauslektorieren, aber dem Selbstgefühl der hier versammelten Charaktere - darin sind sie wiederum nicht einzig, sondern eher allzu gewöhnlich (und insofern, wie der Untertitel verspricht, in der Tat: "Helden unserer Zeit" - entspricht nun einmal die Einbildung, sie hätten der Welt Beträchtliches zu schenken, obschon sie nicht wirklich erfolgreich sind. Und daß nicht an ihnen gelegen habe, daß sie uns dieses Geschenk bislang nicht adäquat haben übergeben können. Statt das nun mit ein paar ums Versagen gestrickten, knapp wie Kanonenkugeln wirkenden Sentenzen auf bewährte Art zu erledigen (er hats eben nicht gebracht), haben wir uns nach manchem Bedenken entschlossen, diese "Geschenke" ganz im Gegenteil gnadenlos auf den Prüfstand zu stellen, indem wir sie in grade ihrer Mischung von Jämmerlichkeit und Grandiosität schonungslos präsentieren. Denn in ihrer sonderbaren Balance mag manches davon tatsächlich ein direkterer Ausdruck unserer Zeit sein (obwohl es sich vom Zeitgeist erkennbar distanzieren will), als es bei jedem "gelungenen" Resultat der Fall ist; da grade dem erkennbar Gelungenen neuerdings stets etwas Minderwertiges anzuhaften scheint, was mitunter ziemlich erschrecken läßt. Als läge, darüber läßt sich natürlich lang diskutieren (auch darüber was die Ursachen sein mögen), nur im radikal Mißglückten oder nicht Fertig-zu-Bekommenden heutzutage noch eine Art Wahrheit.


Da der Autor andererseits die Anspielung liebt, manchmal türmen sie sich zu wahren Anspielungs-Gebirgen mit vor allem sprachlich-musikalischer Tektonik, in denen aber immer wieder auf diese spekulativ-theoretischen Überlegungen Bezug genommen wird, standen wir dennoch vor der Entscheidung, diese Teile, worin er offenbar seine Erfahrung und sein Wissen in aller Schärfe mitzuteilen wünscht, entweder ganz zu streichen oder aber es so darzustellen, daß es - nur selten hat der Autor da die richtige Balance gefunden - in seinen Facetten zumindest im Ansatz verständlich wird. Wir meinen, daß die von uns schließlich gefundene Lösung akzeptabel ist. Wir haben den Text nämlich einfach mit Anmerkungen versehen, so unüblich das in der Belletristik auch ist, die das mitunter nur Angerissene genauer umreißen, und zuweilen den einen oder anderen Kommentar riskiert, um gewisse exzentrische Positionen in die richtige Perspektive zu setzen. Wem das überflüssig erscheint, mag diese Anmerkungen einfach überlesen, wem sie eine Hilfe sind, mag sie zu Hilfe nehmen, und wer Genaueres wissen will, soll einfach in Lexika und Fachpublikationen oder, warum denn nicht, in anderen Arbeiten des Autors nachschlagen und sich dort selbst die Mühe machen. Unsere Anmerkungen - da sie etwas mittelmäßig Vermittelndes haben, können sie nicht immer originell sein - geben, zumal uns Tagebücher und sonstige Aufzeichnungen des Autors uneingeschränkt zur Verfügung standen, in solchen Fällen immerhin eine Art Richtung.

Ebenso haben wir versucht, bei bestimmten Stellen auf andere Teile der Comédie zu verweisen. Zum einen bietet sich das bei Personen an, die (manchmal, eine Marotte des Autors, unter anderen Namen) in einem anderen Teil erneut erscheinen; in diesen Fällen haben wir uns erlaubt, auf ihre Vorgeschichte und den Ort zu verweisen, wo sie sich am kompaktesten darstellt. Andererseits haben wir das aber auch bei gewissen Motiven gemacht, die in den verschiedenen Arbeiten immer wieder von Neuem aufgegriffen werden, zum Teil in erheblich veränderten Sichtweisen, mit mitunter gereifteren, mitunter aber auch deutlich naiveren (naiv oft auf Grund von eingeschränktem Wissensstand), was vom Autor allerdings als einander durchaus gleichgewichtig beurteilt wird, wie er mancherorts ausdrücklich erklärt. So unplausibel all dies im Einzelnen sein mag, haben wir es doch akzeptiert und auf die betreffenden Stellen querverwiesen. Das gibt dem Ganzen geologische Schichtungen, die ganz zu begreifen wie in einer wirklichen Geologie nicht immer möglich ist, aber die Querverweise erscheinen uns gerade in solchen Situationen außerordentlich nützlich.

Weil die Arbeit an "Sieben Tage Eifersucht", wie gesagt, vom Autor einigermaßen abgeschlossen ist und er darin auch das ausufernd Andeutende seines Stils einigermaßen in den Griff bekam (leider, muß man in diesem Fall vielleicht sogar sagen, da dem Text dadurch zuweilen schon etwas Geriatrisch-Finales anhaftet), blieb hier nicht viel zu tun, so daß all das im Grunde kaum erwähnt zu werden braucht, da es sich fast von selbst versteht.


Aber unsere Verfahren schienen sich in ihrer Angemessenheit auf die anderen, die riskanter sowohl geschriebenen als auch die schon insofern mutigeren, als sie überhaupt in Angriff genommen wurden, Teile ausdehnen zu lassen. Gewisse Schwierigkeiten bereiten da nur die Arbeiten, in denen der Autor selbst offenbar zu keinem Entschluß gelangte, was genau er eigentlich endgültig in welchem Ton darzustellen beabsichtigt. Statt diese, wie der gesunde Menschenverstand es einem empfiehlt, ganz wegzulassen, und abzuwarten, bis er oder jemand anderes all dies vielleicht präziser formuliert, haben wir, da gerade in diesen Teilen die unserer Meinung nach eigentlich wichtigen und brisanten Gedankengänge dieses Werks enthalten sind (und zwar sind sie geradezu naturgemäß grade in diesen Teilen enthalten), zu einem anderen Vorgehen entschlossen. Wobei eine nicht unerhebliche Rolle spielen mag, daß auch unsere Zeit auf erschreckende Weise endlich ist und daß auch so einem Herausgeber so ein Autor nicht alle Tage über den Weg gelaufen kommt, es ist wie in der Liebe: man kann froh sein, aber wer gibt das schon zu, wenn sie einem überhaupt begegnet und man nicht immer nur ins Beliebige rennen muß. Zumal der Gang der Welt in Zukunft vielleicht nicht nur die Liebe, oder was man sich lange darunter vorgestellt hat, ganz unterbinden wird, sondern auch Gedankengänge, wie sie in diesen Büchern auf vielleicht sogar unvorhergesehene Weise erschienen sind.

Daher haben wir versucht, auch diesen Teilen zu einer gewissen Präsenz zu verhelfen, indem einige von uns in diesen noch undurchsichtigen Fällen inzwischen "Patenschaften" übernommen haben, man könnte sie auch als Schirmherrschaften bezeichnen, um den Autor bei seiner mühsamen, kaum absehbaren Arbeit zu einem lesbaren Resultat zu geleiten - wie ein klassischer Lektor gewissermaßen, der sich leider bei einem so weit angelegten Werk, auch der klassische Verleger reißt sich ja immer weniger um so was, heutzutage nicht mehr ganz einfach finden läßt. Wie also soll diese Schirmherrschaft funktionieren? Vor allem gedenken wir, den Autor mit unserem Stilempfinden zu unterstützen, indem wir hier, sagen wir mal, einen Vorschlag zum Vermeiden des allzu Banalen machen, dort den zu einer rhythmischen Straffung, wobei wir immer mal wieder den Wechsel oder gar das Weglassen gewisser Adjektive empfehlen, er ist da gar nicht so empfindlich, und ihm zudem bei Recherchen und mehr noch bei der Aktualisierung, Realisierung und Indexierung der zahlreichen Querverbindungen tatkräftig Hilfestellung leisten, aber auch beim Vermeiden des allzu Obszönen, unter gleichzeitiger Erörterung natürlich mannigfaltiger Strategien, mit denen sich vielleicht an ein Ende gelangen ließe, ohne die Substanz des darin Gedachten gleich zu zerstören. Keine leichte Arbeit. Aber so kann sich vielleicht, und so geschieht es auch grade, ein temperamentvolles Wechselspiel ergeben, in das sich der Autor, sollte ihm daran liegen, mit seinen speziellen Fähigkeiten zu seinem Besten hineinentwickeln kann, unter unserer mehr in die Ferne zu blicken vermögender Assistenz. So jedenfalls die Idee. Genaueres zu den speziellen Arten der Zusammenarbeit, die naturgemäß etwas Experimentelles haben, schon weil so etwas noch nie versucht wurde, finden sich in den Vorworten zu den einzelnen Teilen. Wir erwarten jedenfalls am Ende unserer Anstrengungen ein ähnlich verdiente Hymne auf unsere Arbeit, wie sie der große Thomas Wolfe seinem Lektor Maxell Evarts Perkins in "Of Time and the River" gewidmet hat :

MAXELL EVARTS PERKINS


DEM GROSSEN LEKTOR UND DEM TAPFEREN, EHRENHAFTEN MANN, DER DEM VERFASSER DIESES BUCHES IN ZEITEN DER BITTEREN HOFFNUNGSLOSIGKEIT UNENTWEGT BEISTAND UND ES NICHT ZULIESS, DASS DIESER SEINEN ZWEIFELN UNTERLAG, IST DAS WERK, DAS "VON ZEIT UND STROM" HEISSEN SOLL, GEWIDMET, IN DER HOFFNUNG, DASS ES ALS GANZES DER ERGEBENEN UND GEDULDIGEN BETREUUNG WERT SEI, DIE DER STANDHAFTE FREUND JEDEM SEINER TEILE ANGEDEIHEN LIESS, SO SEHR, DASS OHNE DIESE BETREUUNG KEINER DIESER TEILE HÄTTE GESCHRIEBEN WERDEN KÖNNEN.


***


Beim sechsten Teil der Comédie, der sogenannten "Schnitt-Theorie", naturgemäß der Schrecken eines jeden Herausgebers (schon weil wir alle von Film nicht viel verstehen), funktioniert dieses Verfahren freilich nicht. Diese Arbeit scheint der größte Stolz des Autors zu sein, nicht nur kommt er immer wieder darauf zurück - auch in "Sieben Tage Eifersucht" wird mehrmals drauf hingewiesen - er drohte sogar, die Herausgabe der übrigen Teile zu boykottieren, wenn sie nicht ebenfalls in die Comédie Artistique aufgenommen wird, ganz als präsentiere diese Schnitt-Theorie sein eigentliches Lebensziel. Wobei seine Verbohrtheit interessant der des großen Goethe ähnelt, der, bis ins hohe Alter, ausgerechnet in seiner Farb-Theorie seine größte Leistung erkennen wollte, obwohl er, um gleich auf den brutalen Kern zu kommen: nicht mal ein Integral nachmalen konnte, mit dessen Hilfe er die radikale Überlegenheit der von ihm so vehement bekämpften Newtonschen Theorie in vielleicht einer viertel Stunde hätte begreifen können. Glücklicherweise hat der Autor dazu selbst ein längeres Vorwort geschrieben, das einiges vom Ziel seiner Arbeit verrät, wir hätten es nicht leisten können. Denn da die meisten Filmtheoretiker wohl den Erkenntnisstand Goethes inzwischen um Beträchtliches überschritten haben und sie sogar der Welt Lacans bereits gefährlich nahe gekommen sind, sie aber andererseits wie Goethe immer noch kein Integral nachmalen können - kein einziger Filmtheoretiker kann es, wie wir haben herausfinden müssen, von einem vagen Verstehen mag man gar nicht erst sprechen - gibt es offenbar niemanden, der diese Arbeit, die in der Tat einige mathematische Formalismen enthält, qualifiziert beurteilen oder gar lektorieren könnte, zumal die Mathematiker wiederum - in sonderbarer Weise stößt man da an gewisse Grenzen der wissenschaftlichen Spezialisierung - nicht die Spur von einem filmischen Verständnis haben, und so sind wir in diesem Falle allein auf die auctoriale Autorität angewiesen. So sei auch diese Arbeit denn, obwohl sie, außer in ihrem Anhang, nichts Belletristisches an sich hat, in Autors Namen in genau der momentan präsentierten Form in diese "Romanserie" aufgenommen - wo sonst als in der Belletristik soll sie auf dieser Welt denn Platz finden? Immerhin hat er diese "Theorie" an diversen Film- und Kunsthochschulen unterrichtet, und daß dort einzelne seiner Hörer CDs mit dem vorliegenden Text kauften, läßt wenigstens drauf schließen, daß es sich nicht um Scharlatanerie reinsten Wassers handelt, sondern daß ihm ein rationaler Kern innewohnen mag. Aber, wie gesagt, wir vermögen das weder zu beurteilen noch zu entscheiden. Hiermit sei auch dieser Teil der Comédie Artistique also in nicht allzu ferner Zukunft angekündigt.


Ein ähnliches Problem bieten die Filmbeigaben, deren Qualität wir, da wir wie gesagt von Film so gut wie nichts verstehen (wir gebens wenigstens zu), nicht beurteilen können; da aber manche davon vielerorts aufgeführt wurden, billigen wir ihnen eine gewisse Qualität erst mal zu. Aber darauf kommt es vielleicht gar nicht an: sobald sie in den einzelnen Teilen angesprochen werden, mag man als Leser einfach zum Videorekorder (oder künftig dem DVD-Player) greifen, um sich die betreffenden Passagen einmal anzusehen, wenn davon im eigentlichen Text die Rede sein wird.


Zu erwähnen bleibt, daß wir wesentliche Teile dieses weit gespannten Roman-Versuchs auch im Netz zu präsentieren gedenken, wobei beabsichtigt wird, eine Reihe von Diskussions-Foren in Gang zu setzen, in denen die Öffentlichkeit an den Entscheidungen beteiligt werden soll, wie genau dieses Werk der Nachwelt sowohl überliefert als auch wie es finanziert werden könnte; denn daß es überliefet werden sollte, steht außer Frage.


Das Herausgeber-Kollektiv (im Auftrag des BdR)