Dietrich Kuhlbrodt

Neue Filme von Klaus Wyborny:

"Percy McPhee-Agent des Grauens (6. + 7. Folge) und "Dallas-Texas"

in Filmkritik 11 / 70, S. 596 f.


Außerdem war auf der Hamburger Filmschau die 23-Minuten-Fassung vom dritten Teil der "Dämonischen Leinwand" (Fk 3/70-156) zu sehen; "Das abenteuerliche aber glücklose Leben des William Parmagino", bestehend aus den Unterfilmen "William Parmagino's" und "William": weit weg und schön wie eh. Ich schreib es hier auf für später: für die Wybornyforschung. William spielt nämlich eine Rolle für Percy McPhee und seinen Unterteilen "Bakerloo meets 'William' the first Machine Gun." Soweit die Kontinuität.

Inzwischen aber ist in Hamburg folgendes passiert: aufgetaucht ist Superstar Christoph Hemmerling ("Die Unterdrückung der Frau ist vor allem am Verhalten der Frau selber zu erkennen", Fk 2/70-91), Darsteller in "Seminar Beuys + Rot" (von Andy Hertel), "Heimatschuß" (con Andy Hertel), "Paragraph 218" (von Renate Pfab) und folgerichtig in "Percy McPhee-Agent des Grauens (6. + 7. Folge)", mit dem Wyborny schließlich die Christuslegende verfilmt. - Wyborny hat seinen Truffaut noch nicht gefunden. Der müßte wissen: inzwischen gibt es in Hamburg das Toulouse-Lautrec-Institut (in der Brüderstraße), teils Kneipe, teils Mystifikation und somit dafür geeignet, die Glanzzeit Toulouse-Lautrecs als Fußballphotograph der späten zwanziger Jahre zu untersuchen und gegebenenfalls zu würdigen.

Ich mystifiziere nichts. Die beiden Folgen von "Percy McPhee-Agent des Grauens" sind genau so realistisch wie die Existenz Christoph Hemmerlings und die des Toulouse-Lautrec-Instituts. Wyborny erzählt wahre Geschichten, und das Schöne daran ist, daß die Geschichten nicht wahr sind, sondern wahr werden. Märchenonkel, Scherezad oder jemand, der erzählt und dabei etwas in die Hand nimmt: ein Mitbringsel, ein Foto, eine Super-8-Sequenz. Ein Teil, etwas Abgebrochenes, das ganz Persönliche, das dem anderen das Bewußtsein weitet - ihn auf die Reise schickt. Wyborny weist die Szene vor: einen Tisch mit Bierflaschen, eine Bücherreihe, eine Wohnung. Und er sagt dazu: "Als dann die Sonne wieder aufging, begann die Zeit, von der wir träumten." Das Mikrofon steht auf dem Tisch, ein Koffer, eine Telefonzelle im Dorf: "Als Maria ihren Reißverschluß öffnete, dachte ich an Josef, der sie liebte." - Räucherndes wird eingeatmet, Helena Rubinstein ist zu erkennen, Suche in der Stadtlandschaft: "Maria löste das Versprechen ein, das sie mir am Abend zuvor gegeben hatte". - Der Zauber funktioniert, die Bilder wirken. Ich kann Hammet und auch Chandler immer wieder lesen. Ich habe es längst aufgegeben, ihre Geschichten aufzulösen: wer ist denn nun der Täter? Ich fühle mich nicht gern angewiesen, Hineinverstecktes herauszufinden, den Täter zu entlarven, das Rätsel zu lösen, den vorgesehenen Schluß zu ziehen, das hineingelegte Schöne herauszusuchen, oder dergleichen Emanistisches. Ich mag Osterhasen nicht. Wyborny ist kein Osterhase.

Vielleicht würde es keinen großen Unterschied machen, ob man sich die Filme Wybornys ansieht oder ob man sich mit ihm anfreundet und dabei ist in der Rosenstraße oder in der Brüderstraße, wenn er was zeigt und was erzählt. So vollkommen vermittelt sich die Person ins Werk. Percy McPhee, Christus und Wyborny werden dreieinig, identisch.

Eine übertriebene Formulierung, zugegeben, wenn man nicht flugs ergänzt: Wyborny macht eminent politische Filme. Politisch nicht in dem Sinne, daß er eine vorhandene Schrift auslegt, eine vorhandene Argumentation vorführt, zum Nachvollzug einer vorhandenen Schlußfolgerung anhält. Aber eminent politisch, idem er den Sinn für das Noch-nicht-Vorhandene schärft: mit dem Vorschein auf Nichteingetretenes ein Bewußtsein senibilisiert, das dann auf dem Weg zu politischem Handeln mit eigenen Erfahrungen aufwarten kann. - Freilich: Wyborny erzählt. Und indem er erzählt, setzt er in die Vergangenheit: Traum, Wunsch und Hoffnung. Jedoch: durch den Verlust der Unmittelbarkeit (die Bilder in den Filmen passieren nicht, sie sind Mitbringsel, Fundsachen, Fragmente) wird das Immer-noch-Ausstehende, das Nochnicht, das Erst-Angekündigte der Erzählungen in den Folgen 6 - 7 des "Percy Mc Phee - Agent des Grauens " bewußt: "Und als dann die Sonne wieder aufging, begann die Zeit, von der wir träumten."

Ich lese durch, was ich bisher geschrieben habe. Ich könnte damit erklären, wieso die Vergangenheitsform ein wenig Trauer verbreitet: die Melancholie des Erinnerns. Ich kann damit nicht erklären, wieso "Das abenteuerliche aber glücklose Leben des William Parmagino" und wieso "Percy McPhee" Spaß machen. Hemmerling und der Geist Toulouse-Lautrecs sind nochmals zu bedenken. Die Handlung eine fröhliche Doppel-Travestie: Wyborny- Percy McPhee - Christus. Die Darsteller übernehmen mit offensichtlicher Lust & Wonne die Rollen oder die Ansätze von Rollen, deren Funktion sich bei jedem Kinogänger von selbst einstellt: Science Fiction ("Dämonische Leinwand" - "Auf zu den Sternen"), Agenten ("Percy McPhee - Agent des Grauens", Western ("Dallas Texas"). Zwischen Erinnerungstext und Klischeetravestie passiert dann: die Poesie oder wie man das nennen mag.

So probiert jemand, der den Film liebt, seine Kinoerfahrungen aus. Uwe Nettelbeck löste einmal, fällt mir ein, ein prekäres moralisches Privatproblem als Westernheld: "Ich tue, was ich tun muß." Auch Wyborny verzichtet auf offene Ironie, auf Verhohnepipelung und dergleichen; er nutzt seine Erfahrungen, handelt spielerisch damit und baut aus ein paar Scherben, aus Ellipsen, Andeutungen und Untertreibungen etwas Vollkommenes zusammen. Wie zum Beispiel den Acht-Minuten-Super-8-Film "Dallas Texas". Nur wenige, ruhige Einstellungen sind zu sehen. Eine Kiesgrube, Steinbruch oder so ähnlich, eine Hütte, ein Auto fährt von links rückwärts ins Bild: als die Schlußlichter zu sehen sind, bleibt es stehen. Jemand steht vorm Haus. Jemand fällt vorm Haus. Jemand liegt vorm Haus. - Auf- und Abblenden trennen die Einstellungen deutlich: ebenso deutlich setzt man Fragmente gegeneinander ab. Das Komische beim Wiedererkennen der Klischees ist der gefühlvollen Prätention der klassischen Musik, die hier die Rolle des Wyborny-Kommentars übernimmt, kontrastiert. Das Komische, melancholische Erinnerung, lächerlich Gefühliges gehen hier eine verdichtete Verbindung ein, in der sich das Westernklischee "Dallas Texas" zu veritabler Präsenz entwickelt: zu einem klischeefreien Western, der in den acht Minuten freilich nicht gezeigt wird. "Dallas Texas" hat die zeitlose Dimension des Tagtraums, oder doch die Erinnerung daran. - Dietrich Kuhlbrodt


//Anmerkung 1: die verschiedenen, je nach Situation immer anders strukturierten Vorführungen der "Dämonischen Leinwand" führen zu einer Verwirrung in der Plazierung der einzelnen Filme. "Das abenteuerliche aber glücklose Leben des William Parmagino" bildet aber seit 1972 den Schluß des ersten Teils, den es als 16mm Kopie gibt, von der die DVD der Gesamtwerksedition gemacht wurde - die Herausgeber //

//Anmerkung 2: "Dallas Texas" wurde als Super 8 Film 1970 im Toulouse Lautrec Institut und dann auf der Hamburger Filmschau gezeigt. Er ist nun als Blow-up Teil des 35-minütigen 16mm-Films "Dallas Texas / After the Goldrush" - die Herausgeber//

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