Bert Rebhandl, Standard, Wien vom 18.10.2005

An den Gestaden der Avantgarden

Klaus Wyborny entdeckt "Eine andere Welt" - im zweiten Teil seines Filmzyklus "Lieder der Erde"


Cristóbal Colón kennen die meisten Schulkinder in Österreich als Christoph Kolumbus. Über den Entdecker einer neuen Welt ist persönlich nicht viel bekannt. Er eignet sich also hervorragend für individuelle Aneignungen. Der Hamburger Filmkünstler Klaus Wyborny hat mit "Eine andere Welt (Lieder der Erde, Teil 2)" eine Art Gedicht über die große Atlantikfahrt montiert. Fünf Gesänge (Cantos) erzählen von der dritten Reise des Cristóbal Colón. Da Klaus Wyborny einerseits ein Gesamtkünstler ist, andererseits aber nicht über große Budgets verfügt, sind seine Filme immer auch visuelle Ersatzhandlungen - seine Expeditionen führen ins Metonymische. So nimmt er sich hier auch viel Zeit, um im ersten Gesang "die See, die See" zu beschwören. Die Aufnahmen vom wogenden Meer, die er dafür verwendet, unterzieht er allen möglichen Materialmanipulationen farblicher und anderer Art. Er bringt die Filmbilder selbst ins Wogen. Dazu ist Klaviermusik von Ludwig van Beethoven zu hören. Der Reiseweg von Cristóbal Colón führt bei Wyborny nicht einfach von Europa nach Amerika, sondern quer durch die Kulturgeschichte.Mit seinem Zyklus "Lieder der Erde" will Wyborny nicht mehr und nicht weniger als eine Geschichte der abendländischen Zivilisation im Modus des Experimentalfilms erzählen. Da immer noch eine Menge Bücherwissen dazugehört, spielt Wybornys sonore Stimme häufig eine wichtige Rolle. In Eine andere Welt hat er sich zudem der Unterstützung eines prominenten Freundes versichert: Der Universaldichter Durs Grünbein steuert drei Universalgedichte bei, in denen die Antike als normative Epoche beschworen wird. Wyborny teilt mit dem sächsischen Lukrez den Optimismus, dass die literarische Sprache (das impressionistische Filmbild) an die Tatsachen von Physik und Geschichte heranreicht.Deswegen ist Eine andere Welt auf der einen Seite pure Subjektivität (zumal dort, wo Wyborny seinen pansexuellen Impulsen nachgibt und pornografische Bilder zum Pulsieren bringt), auf der anderen Seite aber tatsächlich ein Weltgedicht. "Out of the Past ... Es war einmal", so hebt der Mythocineast mit der Stimme aus dem Dunkel der Montagekammer, was er auf seinen früheren Reisen einmal gefilmt hat. In Italien hat er klare, apollinische Bilder gefunden, die direkt und illustrativ zu Durs Grünbeins "An der Tiberiusbrücke" passen.In Indien, wo Wyborny das Amerika entdeckt, das Christoph Kolumbus verfehlt hat, findet er dunklere Bilder. Immer aber ist es eine abendländische Subjektivität, die sich hier über den Erdkreis erstreckt und alle Zeugnisse in und auf sich vereint: auf den polyhistorischen Fantasten Klaus Wyborny, den die Viennale für seinen Entdeckerdrang unter die Propositions gereiht hat. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.10.2005)