Silvia Hallensleben, "Freitag, die Ost-West-Wochenzeitschrift" Nr. 43, vom 28.10 2005 in einem Bericht über die Viennale

Wie viele tausend Möglichkeiten gibt es, Geschichte im Kino zu erzählen? Der kühnste Versuch, sich Geschichte filmisch anzunähern, kam in Wien wohl von Klaus Wyborny, der in Eine andere Welt die Reise des Kolumbus nach Trinidad in fünf - Gesängen genannten - Kapiteln imaginiert. Zur selbst komponierten Klaviermusik in der Kamera geschnittene Meer- und Himmelsansichten bilden dabei den Rahmen für einen Mittelteil, der zu drei Gedichten von Durs Grünbein einen Anker in die Antike schlägt: Eine auch in der Struktur musikalische und ebenso abstrakte wie sinnliche Meditation über Geographie und Geschichte.


Dunja Bialas, "Artechock", München, in einem Bericht über die Viennale vom 27.10.2005

Manchmal kann auch intellektuell gemeintes Kino sehr physisch werden. So bei Klaus Wyborny, der vor seinem neuen Film LIEDER DER ERDE, TEIL 2: EINE ANDERE WELT eine lange Rede hielt, in der er über die Überfahrt Cristóbal Colóns sprach, über die Bedeutung des Gesangs für die lyrische Struktur des Films und die antiken Bezüge der Gedichte von Durs Grünbein, und wie das alles zusammenhängt mit seinem "Kino der Zukunft". Große Erwartungen an den intellektuellen Anspruch des Films, und dann die ersten Bilder des ersten Gesangs, übertitelt mit "Die See, die See": Aufnahmen von Wasser, Atlantikwasser, Wellen, zu Wellen sich türmendes Wasser. Und wieder Aufnahmen von Wasser und Wellen, aber jetzt immer mit Himmel darüber. Dann der zweite Gesang, "Aus Scriabins Grab": die Seemannsträume, hochformatige Pin-Up-Girls, die durch Computerverarbeitung holographisch verfremdet wurden, an Ikonenmalerei erinnernd, eine provokative Bebilderung der Heiligen-Huren-Dialektik, dann der dritte Gesang: "Erinnerung ans alte Europa", usw. usw. - Nichts also von dem Bildungskino, das Wyborny in Aussicht stellte, sondern meditatives Bildmaterial für Assoziationsräume, in die hinein der Zuschauer abdriften kann. Durch die Diskursverweigerung seiner Bilder schafft es Wyborny, aus einem sehr anstrengendem Film ein echtes Feel-Good-Movie werden zu lassen. Und bekanntlich driftete auch Columbus auf seiner Fahrt ab und fand nie den Weg nach Indien. Aber auch er akzeptierte nie, wie Peter Tscherkassky, die visuellen Grenzen der Welt.