Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 28 vom 3.2.2005

Bert Rebhandl

Mit der Antike auf du und du

Marmor, Stein und Ziegel bricht

Der römische Proconsul war "selbst für antike Verhältnisse ein Exzentriker". Durs Grünbein muß es wissen, er ist ein Kenner der Epoche bis zu ihren literarischen Nachwirkungen bei Hölderlin oder Hermann Broch. Am Dienstag abend sprach Grünbein im "Roten Salon" der Berliner Volksbühne die Einleitung zu einem Film, dessen geringe Bekanntheit der seines Helden entspricht: Sulla war nicht Caesar, und "Sulla" von Klaus Wyborny ist nicht "Gladiator". Eher dessen vollständiges Gegenteil.

Der Regisseur empfiehlt, den Film kapitelweise anzuschauen. "Von der Bildhauerei" heißt das erste von sieben Kapiteln, das letzte trägt den Titel "Natur und Staat". Zwei Stunden lang spielt Hanns Zischler den Sulla, ohne ein Wort zu sagen. Denn die Stimme gehört Klaus Wyborny, dem Weltgeist hinter diesem Autorenfilm. Wyborny hat eine autoritative, sonore Stimme, mit der er Sullas Versuch über "den von Grund auf erholsamen Tag" vorträgt. Der Mann ist auf dem Rückweg nach Rom. Er hat in Griechenland den pontischen König Mithridates besiegt, muß nun aber in der Heimatstadt einen Zwist beilegen.Wyborny zeigt ihn an der Schwelle zwischen dem griechischen und dem römischen Weltalter. Aber die Politik ist nur das Symptom einer allgemeinen Regung: Lust.

"Sulla" beginnt mit den Vorbereitungen zu einem Liebesspiel. Der Feldherr erwartet eine Frau. Mit kluger Voraussicht stellt er das Feldbett an einen Baum, errichtet in entsprechendem Abstand kleine Steinhügel und malt sich Stellungen aus, in denen er zum Höhepunkt kommen wird. Er kommt dann ein wenig zu früh (durch Rom geht in diesem Moment ein Ruck). Mathilde, die "Allegorie des Griechischen" (Wyborny) ist noch nicht da. Eros duchwirkt "Sulla", oder, in der Sprache des Films: Geilheit. Das Begehren gilt nicht nur der Frau, es gilt der Welt.

"Erkenntnisgeil" seien Sulla, der Mann, und "Sulla", der Film, fand Durs Grünbein, der nach der Vorführung auch an einer Diskussion teilnahm, die von Dietrich Kuhlbrodt geleitet wurde, aber schnell zu einem Dialog der beiden Erkenntniserotiker Grünbein und Wyborny ausartete. "Sulla" spiele, so Kuhlbrodt, "in einer Zeit, wo die Anschaulikchkeit noch da ist". Klaus Wyborny nimmt hinter dem Sichtbaren - dezidiert antiplatonisch - kein Ideal, sondern ein "Durcheinander" wahr, dessen Darstellung "Sulla" versucht. "Ich bin beleidigt von dem Menschenbild der gegenwärtigen Kunst". Durs Grünbein zieht eine Parallele zwischen griechischen Baustoffen (Marmor) und römischen (Ziegel): "Rom baut mobiler. Im Inneren dieser Architektur schlottert es." Ein antihölderlinscher Zug gefällt ihm an "Sulla": "Alles Antike wird profaniert."

Klaus Wyborny (mehr zu seinem Werk unter www.typee.de) hat dafür zwar ein Vorbild, den Filmregisseut Jean-Marie Straub, aber er vollführt mit diesem Erbe sein eigenes Manöver: "Ich habe Straub von den Füßen auf den Kopf gestellt." Die Präsentation von "Sulla" - ein großartig nichtlinearer Abend - hatte Hand und Fuß und Kopf. Auf dem Heimweg schlotterte es im Zuschauer.